Perspektiven einer pestizidfreien Landwirtschaft | von Joseph Amberger & Dr. Peter Stapel
Im Nachhinein erscheint es so einfach: Pfaffenhofens Bürgermeister erkennt nach einem Vortrag im Frühjahr 2018, welches Drama der Verlust der Artenvielfalt bedeutet. Dabei erfährt er, dass eine naturverträgliche Landwirtschaft dazu beitragen kann, die Folgen abzumildern. Er führt erste Gespräche, holt sich Unterstützung aus der Bürgerschaft und schafft Ressourcen in der Stadtverwaltung. Gemeinsam formulieren sie eine Vorlage für den Stadtrat, der dem Vorhaben geschlossen zustimmt – die Idee der Bodenallianz ist geboren.
Die Stadt Pfaffenhofen fördert nachhaltige Landwirtschaft ohne Pestizide. Es geht dabei um lebendige Böden, den Erhalt der Artenvielfalt und um eine bio-regionale Lebensmittelversorgung. Dafür stellt die Kommune für drei Jahre eine Million Euro zur Verfügung. Doch wie setzt man dieses Vorhaben in die Praxis um?
Zunächst standen die meisten Landwirte dem Projekt skeptisch, einige ablehnend gegenüber. Ökolandbau ist ein Reizwort, das bei vielen Bäuerinnen und Bauern immer noch heftige Abwehrreaktionen hervorruft. Zwar ist die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation gross, in vielen Fällen aber nicht gross genug, um die Beharrungskräfte zu überwinden. In zahlreichen Einzelgesprächen ist es dennoch gelungen, mehrere Familien für die Idee zu gewinnen und sich aktiv an der Bodenallianz zu beteiligen. Die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit war geschaffen. Mit Blick auf den Boden herrschte schnell Einigkeit, dass hier Handlungsbedarf besteht. Nicht die oftmals vergebliche Überzeugungsarbeit zur Umstellung auf ökologische Wirtschaftsweise stand dabei im Vordergrund, sondern die Wissensvermittlung und der Austausch mit Berufskolleg*innen, die «anders» arbeiten.
Durch die Projektmittel konnten Informationsveranstaltungen und Exkursionen, Feldbegehungen, Milchviehrundfahrten, Messebesuche oder spezielle Workshops finanziert werden. Im Mittelpunkt steht ein anspruchsvolles Weiterbildungsangebot: Im drei Jahre dauernden Bodenkurs erhalten die Teilnehmenden neue Impulse für die Bewirtschaftung ihrer Böden, sie können sich mit erfahrenen Praktikern sowie mit international anerkannten Experten austauschen und sich untereinander vernetzen. Ein wichtiges Element des Projekts ist die starke aktive Einbindung der Bäuerinnen und Bauern in die Bodenallianz. In einem über zehn Familien zählenden Steuerungskreis werden Ziele formuliert und Schwerpunkte gesetzt. Dies soll dazu beitragen, festgefahrene Strukturen aufzubrechen. Mittlerweile haben sich 100 Bäuerinnen und Bauern der Bodenallianz angeschlossen.
Gut 180 landwirtschaftliche Betriebe gibt es noch in und um Pfaffenhofen, die meisten im Nebenerwerb. Sie haben ihre Höfe in einem der Ortsteile und Weiler, die neben der Kernstadt zum Gemeindegebiet gehören. Immerhin 54 Prozent des Stadtgebiets entfallen auf landwirtschaftliche Fläche. Ein Fünftel davon soll künftig ökologisch und naturnah bewirtschaftet werden – eine Verdreifachung zu vorher. Zunächst geht es um 1000 Hektar Bio-Ackerland, aber auch viele kleine Schritte zu Bodenschutz und Artenvielfalt.
Das Projekt profitiert wesentlich von der Aufmerksamkeit von aussen, das gibt Rückhalt und stärkt die Motivation aller Beteiligten. Es entstand ein Netzwerk und es entwickelte sich ein reger Austausch mit ähnlichen Initiativen. Mit der Bio-Stiftung Schweiz und dem Bodenfruchtbarkeitsfonds hat sich ein besonders intensiver Austausch entwickelt. Mathias Forster, Geschäftsführer und Stiftungsrat der Bio- Stiftung Schweiz bzw. des Bodenfruchtbarkeitsfonds, hat in der Bodenallianz als Mentor gewirkt. Dank seiner langjährigen Erfahrung konnte er entscheidende Impulse hin zu einer ökologischen Landwirtschaft setzen.
Corona löste schliesslich ein gemeinsames Projekt aus. Unter den Pandemiebedingungen bestand die erste Herausforderung darin, geeignete Formen der Kommunikation zu finden: Onlineseminare, Webinare, Zoom-Konferenzen, nach anfänglichem Zögern wurden digitale Treffen schnell zur Routine. Es entstand die Idee, ein Onlineseminar zu entwickeln, das Themen behandelt, die weit über die meist produktionstechnischen Inhalte hinausgehen. Es sollten digitale Treffen für die ganze Familie werden, die gesellschaftliche, ökologische und politische Aspekte der Landwirtschaft ins Bewusstsein bringen.
Grundlage war das Buch «Das Gift und wir», eine sehr kritische Auseinandersetzung mit der chemie-basierten konventionellen Landwirtschaft. Über 30 Autoren beschreiben die weltweite ökologische und ökonomische Auswirkung industrialisierter Landbewirtschaftung und zeigen Wege und praktische Beispiele einer Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide. Mathias Forster, Mitherausgeber des Buches «Das Gift und wir» bat zwölf Autoren, ihre Buchbeiträge im Rahmen von Onlineseminaren zu präsentieren und anschliessend mit den Teilnehmenden zu diskutieren.
An den Online-Terminen – jeweils Montag abends, von Mitte Februar bis Ende Mai – kamen Bäuerinnen und Bauern des Bodenfruchtbarkeitsfonds, die schon lange biologisch produzieren, mit den Mitgliedern der Bodenallianz Pfaffenhofen, die überwiegend konventionell wirtschaften, zusammen. Die Reihe war als Reise geplant, bei der die Teilnehmer auf jeder Etappe Neues entdecken, sich kennenlernen, austauschen und voneinander lernen konnten. Nachdem erste Berührungsängste abgebaut wurden, entstand Vertrauen, der Austausch wurde offener. Mit der Zeit schwanden auch die Beharrungskräfte gegenüber Veränderungen. Entscheidend dafür waren das Wissen und die persönliche Ausstrahlung der Vortragenden genauso wie der Austausch in der Gruppe. Der bleibende Eindruck, den die authentische Art der Bio-Bauern des Bodenfruchtbarkeitsfonds bei den Kolleg*innen der Bodenallianz hinterliess, wurde durch die gemeinsame Reiseerfahrung noch verstärkt.
Alle Beiträge stehen kostenlos zur Verfügung.