«… wir alle wurden mit einer biologisch kodierten grossen Erwartung geboren, die die moderne Welt bei weitem nicht erfüllt. Doch diese Erwartung stirbt nie wirklich. Sie kann jahrelang, jahrzehntelang schlummern, aber ihre Glut bleibt in der Mitte der kalten Asche unzähliger Enttäuschungen lebendig. Heute bürsten viele von uns sanft die Asche weg und blasen die Kohle in ihrem Inneren an. Sie entfacht wieder eine Flamme. Es ist die Flamme der Hoffnung – nicht die falsche Hoffnung des Wunschdenkens und der Ignoranz gegenüber der Realität, sondern die wahre Hoffnung, die eine Vorahnung einer echten Möglichkeit ist, einer Möglichkeit, die wir mitgestalten können … es gibt zwei grundlegende Arten von Arbeit, die wir tun können … Die erste besteht darin, die Strukturen, Gewohnheiten, Überzeugungen und Kräfte der alten Geschichte abzubauen. Die zweite ist, die Strukturen der neuen Geschichte wachsen zu lassen – welche die schönere Welt aufbauen kann, von der unsere Herzen wissen, dass sie möglich ist.»
Charles Eisenstein
Christopher Schümann, Geboren 1969 in Berlin. Eurythmieausbildung in Den Haag, NL, anschliessend tätig als Lehrer, Bildungsreferent, Vortragsredner und Seminarleiter, dreijähriger Aufenthalt in England, Seit mehr als zehn Jahren tätig im Stiftungswesen. Mitbegründer des Bodenfruchtbarkeitsfonds, Mitherausgeber des Magazins der Bio-Stiftung Schweiz.
Die schönere Welt …
In Zukunft werden wir in vielen Teilen der Welt mit unseren Kindern und Enkelkindern durch wunderschöne parkähnliche Landschaften spazieren, in denen vielfältige Kulturen einander ergänzen und eine regionale Ernährungssouveränität mit gesunden Lebensmitteln gesichert ist.
Alle Menschen werden sich die Lebensmittel aus den gesunden Strukturen leisten können, weil alle verstanden haben, dass die angeblich so billigen Lebensmittel aus der industriellen Landwirtschaft in Wahrheit sehr teuer waren, was man nur lange nicht gemerkt hat, weil nicht richtig gerechnet wurde.
Unnötig weite Transportwege von Lebensmitteln werden selten geworden sein. Die Menschen werden sich mit den Landschaften, in denen sie leben und von denen sie leben, wieder stark verbunden fühlen und deren Schönheit geniessen. In diesen Agrarlandschaften werden gesunde Proportionen zwischen Baumkulturen, Hecken und Sträuchern, Getreidefeldern, Obst- und Gemüsegärten wie selbstverständlich erlebbar für jeden sein. In den Zwischenräumen wird man auf Dauerruhe- und Blühflächen achten, die Vielfalt der Insekten, Blumen, Kräuter und Gräser geniessen und den Sinn solcher Vielfalt verstehen. Es wird sehr viel mehr Bäume geben in diesen Agrarlandschaften der Zukunft, weil jedes Kind in der Schule lernen wird, dass Bäume ungeheure Kühlleistungen erbringen, die ansonsten unbezahlbar wären. Die Kinder werden das aber nicht nur theoretisch lernen, sondern sie wissen solche Dinge, weil sie alle schon einmal barfuss über von Bäumen beschattete Strassen und Wege gegangen sind und auch über solche, die unbeschattet im Sonnenlicht liegen. Sie haben den Unterschied an ihren Füssen erlebt und werden jeden für realitätsfern halten, der solche einfachen Dinge nicht weiss. Die vielen zusätzlichen Bäume werden auch ansonsten viel zur Gesundheit und Produktivität der Landschaften beitragen. Sie werden für einen besseren Wind- und Erosionsschutz und für eine bessere regionale Wasserzirkulation sorgen und wesentlich dazu beitragen, dass die Artenvielfalt in den Agrarlandschaften wieder zunehmen kann. Die Bäume werden zusätzlich hohe Erträge an Nüssen, Esskastanien usw. liefern, was den Menschen dabei helfen wird, ihren unverhältnismässig hohen Fleischkonsum zu reduzieren. Ausserdem werden solche Landschaften viel Holz liefern, für ganz unterschiedliche Verwendungszwecke. Aber die Menschen werden aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und sich gründlich abgewöhnt haben, mehr Holz zu verbrauchen, als nachwächst. Jeder wird wissen, dass Bäume der Luft bei ihrem Wachstum das Treibhausgas Kohlendioxid (CO²) entziehen – eine Einsicht, die für die Stabilisierung des Klimas in vielen Regionen der Welt überlebenswichtig ist.
Die Agrarlandschaften der Zukunft werden schön sein, es werden regionale Naherholungsgebiete sein. Sie werden nach extensiver Bewirtschaftung aussehen, aber tatsächlich sehr viel produktiver sein als die Monokulturwüsten, die heute in vielen Regionen das Landschaftsbild prägen und in denen ein künstlich erzeugtes Steppenklima herrscht, wodurch Böden, Pflanzen und Tiere der Sonnenhitze ungeschützt ausgeliefert sind. Alle werden verstanden haben und aus eigener Erfahrung wissen, dass vielfältige und vielseitige Agrarlandschaften langfristig ertragreicher sind, auch weil sie resilienter sind und Extremwetterereignisse besser abpuffern können. Ackergifte wird es in dieser schönen neuen Welt nicht mehr geben, weil die im Biolandbau erfolgreich angewendeten alternativen Methoden der Schädlings- und Unkrautbekämpfung weiter erforscht und allen BäuerInnen und GärtnerInnen bekannt sein werden. Nachhaltige Landwirtschaft wird Mainstream geworden sein.
… ist möglich
Die Transformation der industriellen Landwirtschaft in eine zukunftsfähige Agrarkultur, die dem Leben auf der Erde wieder gerecht wird, ist möglich. Die Menschheit als Ganzes hat alles zur Verfügung, was dafür nötig ist. Das ist ein befreiender Gedanke, der Hoffnung weckt, dass vieles noch rechtzeitig geschehen wird. Die Ideen, Erfahrungen und Fachkenntnisse sind da und werden fortlaufend weiter entwickelt, die finanziellen Möglichkeiten sind da, die technischen Möglichkeiten sind da, die Menschen sind da. Aber ist auch genügend guter Wille da? Das kann niemand vorhersagen, weil die Zukunft von den individuellen Entscheidungen unzähliger Menschen abhängt. Welche Art von Beziehung wollen wir in Zukunft zu unserer Region, unserem Land, den Mitmenschen und dem Planeten Erde entwickeln? Was und wie viel davon werden wir bereit sein zu geben für das Leben, auch für das Leben anderer Menschen, auch solchen, die wir nicht kennenlernen werden, weil sie lange nach uns geboren werden?
Mathias Forster hat im letzten Magazin geschrieben:
… Aus meiner Sicht ist die Krise in erster Linie eine Beziehungskrise. Zu uns selbst und unseren Tiefenschichten sowie zueinander und dem Leben insgesamt.
Eines ist sicher: Wenn solche schönen, ertragreichen und widerstandsfähigen Agrarlandschaften überall auf der Erde sichtbar werden, dann werden sie ein lebendiger Ausdruck dafür sein, dass sehr viele Menschen erfolgreich an ihren Beziehungskrisen arbeiten und sich weiterentwickeln. Und mit ihnen entwickeln sich die Landschaften, in denen sie leben. Das wäre schön.
Vielleicht wird der Schlüssel für die Heilung all dieser Beziehungen die Liebe sein, die in ihrer zauberhaften Kraft oftmals unterschätzt wird. Die Liebe gehört ins Private, so scheint es. So wird es gesagt. Aber stimmt das?
Die Liebe wird selten erwähnt, wenn es um die Frage geht, wie wir die vielfältigen Krisen überwinden können. Wir lieben unsere Freunde, unsere Kinder und die Menschen, die uns nahe stehen. Aber vielleicht ist gerade die Lieblosigkeit, die wir ausserhalb unserer Privatsphäre praktizieren, die Hauptursache für viele Probleme. Die Liebe kommt oftmals sehr leise und unscheinbar daher, weil sie sich in Bescheidenheit kleidet. Sie wird leicht übersehen und lebt doch in vielem, was wir auf den ersten Blick nicht mit ihr in Verbindung bringen würden: Echtes Interesse zum Beispiel an den vielfältigen und vielschichtigen Zusammenhängen und Beziehungen innerhalb der Natur, die entdeckt und verstanden werden wollen, weil sonst die Entwicklung und Umsetzung von komplexer Agrarkultur überhaupt nicht möglich ist. Echtes Interesse auch an den Bäuerinnen und Bauern und an der Frage, was sie brauchen, um lebendige Agrarlandschaften zu erschaffen und zu pflegen. Und schliesslich kann auch das Verschenken von Geld ein Ausdruck von Liebe sein, zumindest wenn nicht doch in der einen oder anderen Weise die Hoffnung auf einen «return on investment» mitschwingt. Die Liebe kann durch den ihr innewohnenden Zauber unser eigenes Selbsterleben so weiten, dass der fruchtbare Boden, die Entstehung von gesunden Strukturen und das Wohlergehen der Menschen in einem friedlichen Zusammenleben zu unser aller Herzensanliegen wird. Dann wäre die Welt nicht mehr etwas ausserhalb von uns, sondern sie wäre ein Teil von uns, aber nicht in dem Sinne, dass wir sie besitzen oder beherrschen müssen. Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr, sagte Goethe einmal.
Die menschliche Kultur, auch die Agrarkultur als ein sich fortwährend wandelndes Kunstwerk, das sich aus freiem Denken und Handeln vieler Menschen immer weiterentwickelt – aus meiner Sicht eine begeisternde Vision. Johannes Stüttgen, ein Meisterschüler des Künstlers Joseph Beuys, beschreibt die Bestimmung des Menschen in einem Gespräch mit Mathias Forster:
… Und wer sich mit diesem Vorgang intensiver oder tiefer befasst, der kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, also auch in Bezug auf seine eigene Rolle, die er dabei spielt. Denn in dem Moment, wo Du Dich damit ernsthaft auseinandersetzt, merkst Du, dass Du jetzt mit im Spiel bist. Und daraus ergibt sich ganz von selbst der Satz: Jeder Mensch ist ein Künstler. Es ist praktisch die Gestaltungsverantwortung des Menschen für die irdischen Zusammenhänge – und für sich selbst. Und diese beiden Aspekte sind voneinander nicht zu trennen. Es ist sozusagen die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung in Richtung eines Zusammenspiels von innen und aussen.
Die Transformation von industriell geprägten Landschaften und Lebensmittelsystemen in vielfältige Agrarlandschaften und gesunde Strukturen ist ein Megaprojekt. Es ist viel Geld für diesen Transformationsprozess nötig, es braucht ausreichend viele Menschen mit Fachkompetenz in ganz unterschiedlichen Bereichen.
Es braucht passende und wirksame Kommunikations- und Kooperationsformen. Es braucht die Bereitschaft und den Mut, alte Vorstellungen und Denkgewohnheiten auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen zugunsten von Zukunftsbildern, die wirklich begeistern und möglichst viele Menschen mitnehmen können. Ich bin davon überzeugt, dass die Liebe in ihren vielfältigen Erscheinungsformen der Schlüssel zum Erfolg sein wird und gleichzeitig die Kraft, die uns alle in diesem Bemühen verbindet. Es ist schon sehr viel da. In vielen Projekten und Initiativen bemühen sich Menschen darum, eine schönere und bessere Welt entstehen zu lassen.
Wie kann dieser Prozess beschleunigt werden?
Mehr Bioprodukte für den Konsum
«Jeder Einkauf ist ein Stimmzettel», sagt Urs Brändli, der Präsident von Bio-Suisse. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Verbraucher durch ihren Konsum letztlich die Macht haben, die Entwicklung der Lebensmittelsysteme in die von ihnen gewollte Richtung zu lenken. Was steht dem im Wege?
Anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos hat die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam einen aktuellen Bericht zur sozialen Ungleichheit vorgelegt. Ergebnis: Seit Beginn der Corona-Pandemie hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses kassiert, in Deutschland waren es sogar 81%. Gleichzeitig leben heute mindestens 1,7 Milliarden ArbeitnehmerInnen in Ländern, in denen die Inflation höher liegt als die Lohn- und Gehaltszuwächse, was einen Kaufkraftverlust in enormer Grössenordnung darstellt.
Auch in der Eurozone lag die Inflationsrate Ende März bei 8,5%. Das sind schlechte Nachrichten für viele Bereiche der Wirtschaft, auch für die Biobranche. Viele Menschen würden gern für sich und ihre Kinder Bioprodukte kaufen. Sie können es aber nicht oder nur in begrenztem Umfang, weil ihr Einkommen das einfach nicht hergibt. Und Konsum über Verschuldung zu finanzieren ist nicht nachhaltig, wie die letzte Finanzkrise klar gezeigt hat und wie die nächste Finanzkrise wieder klar zeigen wird. Denn über Schulden finanzierter Konsum ist vorgezogener Konsum, der in Zukunft zu einem Nachfrageeinbruch führen muss, sofern die Massenkaufkraft nicht ent- sprechend ansteigt. Es ist jetzt schon für sehr viele Menschen schwierig und es wird in Zukunft noch schwieriger sein, Bioprodukte zu konsumieren, schon allein durch die steigenden Energiekosten.
Was kann man dagegen tun? Die Solawi Ravensburg, über die wir im letzten Magazin berichtet haben, hat für dieses Problem eine Lösung gefunden und setzt sie auch praktisch um. «Bio kann ich mir nicht leisten», gibt es da nicht. Die Mitglieder zahlen dort für ihr Gemüse in Demeter-Qualität nicht alle den gleichen Preis, sondern sie zahlen so viel, wie sie können.
Hier wurde die uralte Denkgewohnheit überwunden, dass alle Verbraucher für die gleichen Produkte den gleichen Preis zahlen müssen. Wer sagt, dass das so sein muss? Entscheidend ist doch vielmehr, dass alle Menschen Zugang zu Bioprodukten haben, die das wollen, und die Gemeinschaft als Ganzes für das Gemüse den richtigen Preis zahlt. Und der muss so hoch sein, dass der Betrieb die Natur nicht abbaut, sondern aufbauen kann und die Menschen dabei nicht ausbeuten muss. Und das wird bei der «Solawi Ravensburg» ganz klar erreicht. Lösungsansätze wie diese sind da, sie funktionieren, sie sind skalierbar und sie sind modifizierbar.
Modifikation von Ideen
Gute Konzeptideen mit vielfältigen positiven Wirkungen nehmen in der Wirklichkeit eine individuelle konkrete Gestalt an. Die Solawi Ravensburg ist ein Beispiel für eine solche individuelle Form oder Gestalt, die funktioniert und erfolgreich ist. Aber die Konzeptidee ist modifizierbar, das heisst sie kann an andere Grundvoraussetzungen angepasst werden, wodurch andere individuelle Formen entstehen, in denen aber die ursprüngliche Konzeptidee erhalten bleibt und somit ihre vielfältigen positiven Wirkungen entfalten kann.
Ein Beispiel: Im konkreten Fall der Solawi Ravensburg haben sich etwa 150 Haushalte mit unterschiedlichem Einkommen zusammengetan. Solche Solawis könnten auch von ein oder mehreren Unternehmen gegründet werden, mit dem Ziel, den eigenen Mitarbeitern den Zugang zu regionalen Bioprodukten zu ermöglichen und gleichzeitig dabei zu helfen, ein Stück landwirtschaftliche Nutzfläche in der eigenen Region im Sinne einer komplexen und vielfältigen Agrarkultur entstehen zu lassen.
Ein erklärtes gemeinsames Ziel von allen Menschen, die das Potenzial einer solidarisch organisierten Versorgung mit Bioprodukten erkannt haben, in welcher Form auch immer, könnte sein: «Wir werden allen Menschen, die das wollen, den Konsum von Bioprodukten ermöglichen.»
Das würde der Transformation der Landwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit einen gewaltigen Schub geben. Denn dadurch würde die durch reale Kaufkraft gedeckte Nachfrage nach Bioprodukten signifikant steigen und die Produktion würde diesem Trend folgen.
Das Problem der zunehmenden Vermögenskonzentration
Oxfam schlägt als Antwort auf die zunehmende Vermögenskonzentration eine deutlich höhere Besteuerung der Reichen vor, um den negativen Auswirkungen dieser drastischen Entwicklung entgegenzuwirken.
Ich bezweifle, dass Steuererhöhungen der richtige Weg sind, wichtige gesellschaftliche Entwicklungsprozesse voranzutreiben und für einen gleichmässigeren Wohlstand sorgen. Der Weg der höheren Besteuerung geht ja davon aus, dass der Staat als väterlicher Vormund der vertrauenswürdigste Treuhänder zusätzlicher finanzieller Mittel ist. Welche Erfahrungswerte stützen diese Annahme? Die Erfahrung im Bereich der Landwirtschaft zeigt eher, dass staatliche Strukturen oftmals sehr träge und schwerfällig sind und im Hinblick auf Fortschritt nicht vorausgehen, sondern wenn überhaupt im Schneckentempo folgen und erst dann sinnvolle Anpassungen vornehmen, wenn der öffentliche Druck sie praktisch dazu zwingt.
Bis heute strömen Subventionen in Milliardenhöhe in Landbausysteme, die nachgewiesenermassen nicht nachhaltig sind. Abgesehen von der Skepsis gegenüber dem Staat als Vorreiter für den Fortschritt widerstrebt mir auch das Bild vom Staat als väterlichem Vormund und Erzieher von erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir das Problem der zunehmenden Vermögenskonzentration einmal mit Ernst Ulrich von Weizsäcker besprochen haben. Er erzählte uns, dass hier ein enormes Drohpotenzial liegt, weil sehr reiche Menschen im Fall angekündigter Steuererhöhungen damit drohen, ihr Vermögen ins Ausland zu verlagern. Hier liegt offenbar ein von staatlicher Seite schwer zu lösendes Problem vor. Es könnte im Grunde nur gelöst werden, wenn sehr viele Regierungen in dieser Sache zusammenarbeiten, was unwahrscheinlich ist. Ich glaube eher daran, dass immer mehr sehr vermögende Menschen einsehen, dass eine zu starke Vermögenskonzentration nicht nur katastrophale soziale Auswirkungen hat, sondern auch die Stabilität und Gesundheit der Wirtschaft als Ganzes gefährdet und notwendigen Fortschritt verhindert.
Ich glaube daran, dass in Zukunft immer mehr Menschen mit grossem Vermögen den Transformationsprozess hin zu einer schöneren und besseren Welt als eigenes Herzensanliegen empfinden werden und dafür auch bereit sein werden, den alten Grundsatz aufzugeben, nach dem das eigene Vermögen wachsen oder zumindest erhalten bleiben soll.
Eine grosszügige Beteiligung an diesem Transformationsprozess in Form von Schenkungen wird dann von diesen Menschen nicht als ein Verlust erlebt, sondern als ein Gewinn. Denn der Verlust wird nur von einem selbst im engeren Sinn erlebt, der etwas hergibt und dadurch meint, es zu verlieren. Die Weltbürgerin und der Weltbürger in der tieferen Bedeutung des Wortes verliert nichts durch grosszügige Schenkungen. Ein solcher Mensch gönnt sich etwas, wenn er oder sie schenkt. Denn er oder sie erlebt die Welt in sich und zu sich gehörend und sich in der Welt und zu der Welt gehörend und kann sich daher über alles freuen, was in der Welt durch seine oder ihre Schenkungen besser oder schöner wird. Das ist die geheimnisvolle mögliche Metamorphose in der Beziehung zur Welt, die jedem offen steht, der sich auf solche Entwicklungsprozesse einlassen will, und in der die Liebe die verbindende Kraft ist.
Qualitäten des Schenkens
Grössere Beträge zu verschenken ist nicht einfach. Durch unsere Stiftungsarbeit lernen wir ganz unterschiedliche Formen und Verfahren der Beantragung und Bewilligung von Fördergeldern kennen. Zum Teil sind sie sehr zeitaufwendig und dadurch für beide Seiten auch sehr teuer. Ich will das nicht bewerten oder infrage stellen. Jeder soll das so machen, wie es ihm gefällt. Es gibt aber eine Vorgehensweise, die sehr einfach und dadurch deutlich kostengünstiger und auf längere Sicht und im Mittel meiner Ansicht nach effizienter ist.
Diese Vorgehensweise basiert in radikaler Weise auf der Beziehung von Mensch zu Mensch. Der Gönner oder die Gönnerin bemerkt durch gegenseitiges Kennenlernen im Gegenüber gute Absichten, gute Ideen, ein kreatives Potenzial und die Fähigkeit, die guten Absichten und Ideen auch umzusetzen, entweder allein oder zusammen mit anderen.
Im Grunde ist das schon ausreichend, um einen grösseren Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. Diese Vorgehensweise setzt aber voraus, dass der Gönner oder die Gönnerin genügend Vertrauen in die eigene Menschenkenntnis und Urteilsfähigkeit hat. In der freiheitlichsten Form wird der Geldgeber dem Empfänger die Entscheidung darüber überlassen, wofür das Geld genau verwendet wird. Das widerspricht der weit verbreiteten Vorstellung und Praxis, dass durch die Spenden die Intentionen des Geldgebers verwirklicht werden müssten und sollten. Aber wer sagt, dass das so sein muss? Durch diese weit verbreitete Vorgehensweise trägt der Geldgeber ein sehr hohes Mass an Verantwortung, insbesondere bei grösseren Beträgen, was als belastend empfunden werden kann und ist gleichzeitig an Prozesse gebunden, die für alle Beteiligten mehr oder weniger viel Aufwand bedeuten. Demgegenüber wird die Verantwortung in vollem Masse geteilt, wenn das Geld bedingungslos einer Person oder Organisation anvertraut wird. Das kann von allen Seiten als entlastend und befreiend erlebt werden. Das wäre eine neue Struktur und Qualität im Umgang mit Fördergeldern. Auch hier wäre es möglich…
… die Strukturen der neuen Geschichte wachsen zu lassen – welche die schönere Welt aufbauen kann, von der unsere Herzen wissen, dass sie möglich ist.
Ein Beitrag von Christopher Schümann