Was wäre die Menschheit ohne die Kunst? Sie wäre verloren, weil wir vergessen würden, dass wir die Fantasie, die schöpferische Kraft haben, weil wir vergessen würden, dass wir uns mit dem, was ist, nicht zufrieden geben können, dürfen und müssen. In der Kunst liegt eine aufbauende Kraft. Auch deshalb spielt sie eine wachsende Rolle in den Projekten und Aktivitäten der Bio–Stiftung.

Bereits seit Januar und bis zum 28. Oktober 2022 dürfen wir in den Räumlichkeiten der Bio–Stiftung Schweiz eine bemerkenswerte Ausstellung von Kunstwerken der finnischen Künstlerin Eija Koski präsentieren. Der Titel der Ausstellung spricht für sich: Himmeli und Geometrie – Ein Wunder kann immer geschehen. Himmelis sprechen uns von der Geometrie der Schönheit, der Stimmigkeit und der harmonischen Verhältnisse. Nach dem Mitsommerfest holt Eija auf den biologisch bewirtschafteten Roggenfeldern ihres Mannes Kari Koski das Material, um die Himmelis herstellen zu können. Wir haben mit ihnen gesprochen.

 

Interview Mathias Forster | Fotos Ananya Tanttu

 

Eija Koski, geboren 1967, Magister der Wirtschaftswissenschaften, hat drei Himmeli–Bücher publiziert auf Finnisch, übersetzt in Schwedisch, Englisch, Japanisch und Spanisch. Das vierte Buch auf Deutsch, Himmeli – dreidimensionale Objekte aus Stroh (Haupt Verlag Schweiz).
Letzte Ausstellungen: Bio–Stiftung Schweiz, Arlesheim, Schweiz (bis 28.10.2022) | Finnish Design for Everyday Life, Japan | 2021Lookout, Spanien, 2021 | Hidden, Fiskars Biennale, Finnland, 2022

Kari Koski, geboren 1965, Agraringenieur, Bauer seit 1985, Demeter-Bauer seit 2000 Bewirtschaftete Fläche 140 ha (Roggen, Gerste, Hafer).

Eija, Du nennst Dich Himmelistin und Deine Kunst sind die sogenannten Himmelis. Damit warst Du auch schon auf der Titelseite der New York Times und verschickst diese wunderbare und fragile Kunst mit Hilfe von Deinem Mann Kari in alle Welt. Was sind Himmelis und weshalb heissen sie so?

Eija: Himmelis sind dreidimensionale Objekte aus Stroh. Den Ursprung des Namens Himmeli kennt niemand. Vielleicht kommt er aus dem Schwedischen,
«Himmel». Schwedisch ist ja die zweite Amtssprache Finnlands. Interessant ist, dass es nicht übersetzt wird – das Himmeli heisst Himmeli auf Englisch und Japanisch und in allen Sprachen dieser Welt.

Was weiss man über die Entstehung der Himmelis und welche Rolle spielen sie in Finnland?

Eija: In unserem von Technik geprägten Zeitalter fällt es schwer, die Harmonie des Geistes zu respektieren, unter dessen Einfluss Himmelis in der Vergangenheit gemacht und betrachtet wurden. Früher erinnerte es die Menschen an den zyklischen Charakter des Lebens. Stillstand bedeutete das Ende oder den Tod, Bewegung hingegen Leben. Ein Himmeli, das man zu Hause aufhängt, ist eigentlich immer in Bewegung. Mit seinen Dreiecken, Quadraten und Kreuzen, aus denen es sich zusammensetzt, spiegelt das Himmeli zugleich die universalen Gesetze der Geometrie wieder. Aufgrund seiner rituellen Bedeutung im Jahreslauf wurde zunächst jedes Jahr ein neues Himmeli hergestellt. Erst später begann man, die Himmelis für die folgenden Jahre aufzubewahren. Gleichzeitig gingen jedoch auch die traditionellen Bräuche und mit ihnen das Wissen über ihren spirituellen Hintergrund verloren. Weihnachtssonnen und -sterne aus Ähren und Strohhimmelis verschwanden aus Häusern und Köpfen. Denken wir aber noch einmal an den Anfang zurück, ist uns das Universum wieder gegenwärtig: Die Sonne, die Sterne und der Himmel. Die Himmelis helfen uns dabei uns zu erinnern, da sie deren Harmonie ausstrahlen und somit für uns wieder erlebbar machen.

Was bedeuten sie Dir persönlich und welche inneren Impulse verbindest Du mit Deiner Arbeit?

Eija: Die Himmelis sprechen die himmlische Sprache der Geometrie, die ohne Worte auskommt. Das hat mich schon als Kind begeistert und seither nicht mehr losgelassen. Vor einigen Jahren habe ich entdeckt, dass das Grundmuster der Himmelis einer der Platonischen Körper ist, ein Oktaeder. Das heisst, dass es sich nicht um eine einfache Dekoration handelt. Himmelis sprechen die Sprache der Mathematik, der Stimmigkeit der Verhältnisse und der Schönheit! Himmelis bringen das menschliche Verlangen, die Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie zum Ausdruck. Laut Platon entspricht das Oktaeder dem Element Luft. Es besteht aus acht gleichseitigen Dreiecken, an deren Ecken je vier Seitenflächen zusammentreffen und sieht aus wie eine Doppelpyramide. Für ein Oktaeder aus Stroh benötigt man zwölf Halme. Kombiniert man grosse und kleine Oktaeder, erhält man ein Himmeli–Objekt. Mathematisch entspricht es einem Fraktal: einem geometrischen Körper aus verkleinerten Kopien seiner selbst.

Was bedeutet das für Dich, dass Du weisst, woher das Rohmaterial Deiner Kunst kommt, und welche Rolle spielt die Qualität dieses Rohstoffs?

Eija: Ohne meinen Mann Kari, der Biobauer ist, wäre ich nie Himmelistin geworden. Das Material ist genauso wichtig wie die Geometrie, das Muster. Es ist ein Zusammenspiel von Raum und Material. Man kann auch ein Himmeli aus Papier oder Metall herstellen, aber etwas Wesentliches geht dann verloren – die Bewegung. Das Himmeli wirkt dann schwer und bewegt sich nicht mehr, sondern bleibt «stehen». Und die Bewegung ist ein sehr wichtiges Element, es bedeutet Rhythmus und Leben. Ich respektiere das Material und ich bin stolz, dass es von unserem eigenen Bio– Roggenfeld stammt.

Ab welchem Zeitpunkt bist Du involviert, an welchen Arbeiten und ab welchem Stadium bist Du daran beteiligt?

Eija: Der Roggen wird im August gesät. Er fängt an zu wachsen, bis er ca. 15 cm hoch ist und dann ist Herbst. Danach «schläft» er den ganzen Winter hindurch unter dem Schnee. Im Frühling geht das Wachsen weiter und die Ernte ist normalerweise Ende August. Das Himmeli–Material wird mit Händen und Scheren geerntet, kurz nach der Sommersonnenwende, wenn der Roggen befruchtet wurde. Das ist in etwa in der ersten Juliwoche. Wir machen armdicke Bündel und sie werden dann in der Sonne getrocknet, bis sie eine goldene Farbe haben. Danach fängt das Putzen an, das heisst, man schneidet die Gelenke der Halme aus dem getrockneten Stroh heraus.

Weisst Du in etwa, wie viele Himmelis Du in Deinem Leben schon produziert hast und in wie vielen Ländern sie in etwa hängen? Was bedeutet Dir das?

Eija: Das Zählen, wie viele Himmelis oder wie viele Stunden ich damit verbracht habe, ist gar nicht wichtig für mich. Ich glaube an eine magnetische Kraft, an eine Wirksamkeit in diesen Dingen: Ich werde den richtigen Menschen begegnen. In so einer Begegnung merke ich, warum ich diese Arbeit mache und machen darf. Himmelis sind ein Mittel für eine Begegnung mit jemandem oder mit sich selbst. Das Himmeli kann für einen Menschen etwas Wichtiges bedeuten und das reicht für mich. Himmelis sind mein Ikigai, also meine Passion, Mission und mein Beruf – (m)ein Grund jeden Morgen mit Dankbarkeit zu begrüssen.

Was schenken die Himmelis aus Finnland der Welt?

Eija: Ich hoffe, dass Himmelis Schönheit und Harmonie für die Seele schenken, auch eine Tradition und ein filigraner Gruss aus dem hohen Norden.

Was wünschst Du dir für die Zukunft?

Eija: Ich wünsche mir viele Begegnungen mit Himmelienthusiasten und– enthusiastinnen – alte und neue. Besonders in der Schweiz und Japan.

Am 28. Oktober 2022 findet in der Bio–Stiftung Schweiz die Finissage Deiner Ausstellung statt. Gleichzeitig wird die Vernissage Deines Buches sein, das dann frisch ab Druck in Deutsch erhältlich sein wird. Die Menschen werden es kaufen und signieren lassen können. Um was wird es in dem Buch gehen und für wen kann es interessant sein?

Eija: Dieses neue Buch, mein viertes, ist ein Bericht über die Himmelis aus dem hohen Norden, aus Finnland. Ich erzähle die mystische Tradition und spreche von meiner Beziehung mit den Himmelis, der heiligen Geometrie und erweiterten Himmeli–Kunst bis hin zu Design und Architektur. Es ist kein Bastelbuch sondern Himmelikunst. Das Publikum können von Handarbeitern bis zu Architekten alle sein, einfach Menschen, die sich für dreidimensionales Kreieren, für Kunst, Schönheit, Proportionen und Verhältnisse interessieren. Ich hoffe, dass Finnland–Fans auch auf das Buch aufmerksam werden. Es hat Anleitungen, um Himmelis selbst zu kreieren und das Buch ist auch ein Schaufenster zum Finnischen Kulturerbe.

Was erwartet die Teilnehmenden an den zwei Himmeli–Workshops am 29. und 30. Oktober 2022 in Arlesheim?

Eija: Bio–Strohhalme, Nadel und Faden – und die Begegnung rund um das Himmeli. Und – ganz wichtig – am Ende steht ein Himmeli, das jede und jeder selber gemacht hat und mit nach Hause genommen werden kann. Das ist etwas ganz Besonderes.

Kari, Du bist Biobauer in Finnland. Kannst Du uns die Landschaft, in dem Euer Hof steht, sowie die Böden und Kulturen, den Hof und die dazugehörigen Tiere etwas vorstellen, sodass wir ein inneres Bild davon erhalten können?

Kari: Wir wohnen an der Westküste Finnlands, 400 Kilometer von Helsinki entfernt. Zum Meer sind es 15 Kilometer. Unser Gebiet ist ein alter Meeresboden. Das bedeutet, sehr flaches Land und ziemlich grosse einzelne Flächen zum kultivieren. Wir wohnen in einem kleinen Dorf mit 45 Einwohnern, von denen nur drei Bauern sind. Ich bin der einzige Biobauer. Wir bauen Getreide an, Tiere haben wir nicht. Meine Grosseltern hatten noch Tiere, bis Ende 1970, wie alle anderen Nachbarn auch. Heutzutage hat niemand hier mehr Tiere. Die Höfe werden immer grösser und fast alles sind Monokulturen.

Was sind die grössten Herausforderungen eines Bauern in Finnland? Was die grössten Freuden?

Kari: Die grösste Herausforderung ist die Klimaveränderung. Es gibt mehr und mehr Extremjahre, die entweder sehr trocken oder kalt und nass sind. Die grösste Freude ist, wenn man es trotzdem schafft …

Wie ist die Beschaffenheit und Qualität Deiner Böden und was machst Du für den Erhalt und Aufbau der Bodenfruchtbarkeit?

Kari: Die Qualität meiner Böden und in dieser Region sind Klasse. Sie sind sehr fruchtbar, weil es eben alter Meeresboden ist. Die Feuchtigkeitsbalance der schwarzen Erde bleibt gut, wenn man sie im Frühling bearbeitet. Nur der PH–Wert muss ab und zu mit Kalk über 6 stabilisiert werden. In fünfjähriger Rotation säe ich Klee und lasse ihn zwei Jahre stehen, das bindet Stickstoff im Boden, den die Pflanzen dann zu ihrem Wachstum brauchen. Dies hilft auch, dass die Erde flockig bleibt. Die geliebten Regenwürmer leisten auch noch ihren Teil dazu. Sie lieben unsere Roggenhalme sehr.

Verändert es etwas in Bezug auf Deine innere Haltung, wenn Du den Boden bearbeitest oder die Pflanzen säst, aufziehst und schlussendlich erntest, dass Du weisst, dass das Stroh von Deiner Frau weiterverarbeitet wird? Wenn ja, was?

Kari: Die Fläche für das Himmeli– Rohmaterial ist nur 50 Quadratmeter von unseren 20 Hektaren Roggenfläche. Insgesamt bewirtschaften wir auf unserem Hof 140 Hektar. Es ist somit ein kleiner Teil von meiner Arbeit, aber sehr wichtig und bringt einen grossen Mehrwert – ein kleiner Strohhalm verbindet und bringt uns in die Welt und die Welt zu uns.

Warst Du zuerst Landwirt oder war Eija zuerst Himmelistin? Wie war das, als die Himmelis plötzlich Einzug in Euer Leben nahmen? Welche Qualitäten sind da neu hinzugekommen?

Kari: Ich bin seit 37 Jahren Bauer und seit 29 Jahren mit Eija zusammen – ich bin also zuerst Bauer gewesen. Aber als wir uns getroffen haben, habe ich Eija die Roggenstrohfelder gezeigt und sie hat angefangen Himmelis zu machen. Sie hat sich schon als Kind in die Himmelis verliebt. Ich – wir glauben, dass unsere Geschichte im Himmel geschrieben wurde.

Du baust den Roggen an, den Deine Frau dann zu Himmelis verarbeitet. Und ich weiss auch, dass Du diese jeweils verpackst und in die ganze Welt versendest. Wie schaust Du auf die Kunst Deiner Frau, was bedeutet Dir diese?

Kari: Ich bin erstaunt. Es sind ja nur Strohhalme, aber die ganze Welt ist fasziniert an dieser Kunst. Ich bin froh, dass ich ein Teil davon bin und meinen Teil dazu beisteuern kann.

Gibt es innere Zusammenhänge zwischen der Kunst Deiner Frau und der Kunst des Landbaus? Wenn ja, welche?

Kari: Ich folge Maria Thuns Sähkalender, schon seit 20 Jahren. Eijas Himmeli sind Repräsentanten der Raumesordnung, des Kosmos. Beide haben Kontakt mit dem Universum, jeder in seiner Art. Die richtige Konstellation spielt ebenfalls für beide Tätigkeitsfelder eine wichtige Rolle.

Wie steht ein Bauer in der Finnischen Gesellschaft? Werden faire Preise bezahlt und fühlt man sich gesehen und wertgeschätzt?

Kari: Von dem Verkaufspreis eines Roggenbrotes bekommt der Bauer zwei Prozent. Jetzt werden wir etwas höher geschätzt, nicht zuletzt wegen dem Krieg in der Ukraine. Man hat bemerkt wie wichtig es ist, sich regional selber ernähren zu können. Die Wichtigkeit einer regionalen Selbstversorgung rückt wieder stärker in den Fokus.

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?

Kari: Jaaa. Die Schlüsselfrage ist, wie lange ich noch weitermache als Bauer. Wir haben keine Kinder. Ich wünsche mir sehr, dass eines Tages jemand an die Tür klopft und sagt: «Ich möchte deine Arbeit weiterführen».

Liebe Eija, lieber Kari, es ist mir eine Freude und eine Ehre, Eure Kunst in unseren Räumen ausstellen zu dürfen und ich wünsche Euch für die Zukunft das Allerbeste. Ich freue mich auf Euren Besuch Ende Oktober und hoffe, dass möglichst viele Menschen die Möglichkeit ergreifen werden, die Ausstellung zu besuchen oder dann an die Finissage und Buchvernissage zu kommen.

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