Bodenpädagogik: Wie kann man das Wunder Boden begreifbar machen?

Dr. Ulrich Hampl ist Bodenexperte im Bodenfruchtbarkeitsfonds und Bauernhofpädagoge.

Wir stehen auf ihm, wir sitzen auf ihm, wir laufen, wir fahren auf ihm und wir ernähren uns von ihm: Der Boden ist in jeder Hinsicht die Grundlage unseres Lebens. Alle Lebensvorgänge haben im Boden ihren Ursprung und ihr Ende – der Lebenskreislauf funktioniert nicht ohne fruchtbaren Boden.
Dabei geschieht der Auf- und Abbau von gewaltigen Mengen an Stoffen im Boden weitgehend im Unsichtbaren: In der Natur gibt es keinen offenen Boden. Boden will immer bedeckt sein mit Pflanzenbewuchs und seine Aufgaben mit einem Heer von Bodenlebewesen im Verborgenen erfüllen.
Erst als die Menschen zu Ackerbauern wurden, kam der Boden ans Tageslicht. Seither nehmen wir den Boden «in Kultur», wir bearbeiten ihn mit Geräten und säen unsere Nutzpflanzen auf ihm. Ständig ringen wir dabei mit seinem natürlichen Bedürfnis, sich sofort wieder mit Pflanzenvielfalt bedecken zu wollen und niemals offen dazuliegen – wir nennen das dann Unkrautregulierung.

Diese Kulturarbeit mit dem Boden leisten nur noch sehr wenige Menschen in unserer hochentwickelten Gesellschaft – Bäuerinnen und Bauern machen nur noch wenige Prozent der Bevölkerung aus. Deshalb haben die meisten Menschen keinen unmittelbaren Zugang zum lebendigen Boden mehr – sie haben kaum Gelegenheit, die Fruchtbarkeit des Bodens zu erspüren, von der wir alle abhängen.
Um den Boden in seiner Lebendigkeit wirklich erfassen zu können, müssen wir ihn im eigentlichen Wortsinne «begreifen»: Wir brauchen Methoden, mit denen wir dieses vielfältige Leben unter unseren Füssen auch sinnlich erleben und wertschätzen können.
Im Projekt Bodenfruchtbarkeitsfonds veranstalten die beteiligten Partnerhöfe regelmässig «Boden-Hoftage», an denen die interessierte Öffentlichkeit unmittelbare Einblicke in die Wunderwelt der Ackerböden bekommen kann.
Hierzu schulen wir uns in Methoden, mit deren Hilfe die Begegnung mit dem Phänomen Bodenfruchtbarkeit kurzweilig und erlebnisreich gestaltet werden kann. Bodenpädagogik-Fachtage mit Experten und die kontinuierliche Entwicklung eines «Werkzeugkoffers Bodenpädagogik» sind deshalb auch in den kommenden Jahren wichtige Aktivitäten im Projekt.
Dabei sind Ideenreichtum, Kreativität und pädagogische Kompetenz gefragt, um die normalerweise unseren Blicken verborgene Welt des Bodens in ihrer Faszination auch für Nicht-Fachleute erlebbar zu machen.

Hier ein paar Beispiele:

Sehr eindrucksvoll ist es, wenn man tatsächlich in den Boden eintauchen kann: Das Ausheben eines Bodenprofils, also einer begehbaren Bodengrube, ermöglicht die eindrucksvolle Begegnung mit dem Ackerboden auf Augenhöhe: Mitten im Boden stehend kann man «Augʼ in Augʼ» mit der Ackerkrume das Bodengefüge, Pflanzenwurzeln und oft auch Bodentiere erleben und erforschen. Gleichzeitig erlebt man körperlich unmittelbar den Geruch, die Tiefgründigkeit und die gleichmässige Bodentemperatur dieses unterirdischen Lebensraums.

Boden selbst mit dem Spaten aufgraben gehört zu jedem Bodenerlebnis: Das Ausheben etwa eines Viertel Quadratmeters Ackerkrume und anschliessendes genaues Durchsehen des ausgegrabenen Bodenvolumens schafft ein Gefühl für die Unendlichkeit der Stoffe, Hohlräume, Oberflächen in dieser Sphäre unter unseren Füssen. Gleichzeitig entdecken wir Wurzeln und Pflanzenreste in verschiedenen Abbaustadien – und wir begegnen den Tieren, die da im Boden wuseln. Regenwürmer können in die Hand genommen und genau erforscht werden, viele kleine Würmer, Insekten und deren Larven sind mit blossem Auge zu erkennen. Mit Becherlupen, Binokular oder sogar Computermikroskopen können auch die kleineren Lebewesen entdeckt werden – und das Bodengefüge erscheint als gewaltiges dreidimensionales Gebirge vor unseren Augen.

Auch die unterschiedlichen Farben der Böden können begeistern – einmal auf die Suche nach verschiedenfarbigen Böden geschickt, entwickelt man so etwas wie einen Forscherblick und wird zum genauen Hinschauen, zum Wahrnehmen der Vielfalt von Boden angeregt.

Malen mit selbstgemachten Bodenfarben, Plastizieren mit tonigem Boden, Memoryspiele mit verschiedenen Bodenproben – es gibt viele kreative Möglichkeiten, mit dem Boden und seiner Vielfalt in Begegnung zu gehen.

Dies sind nur ein paar Beispiele für Methoden, um sich dem Wesen Boden sinnlich zu nähern.
Solche Bodenerlebnisse regen meist dazu an, es noch genauer wissen zu wollen: In aller Regel ergeben sich daraus Fragen und Diskussionen zu bodenkundlichen und landwirtschaftlichen Hintergründen. Das Nachdenken darüber, wie viel Boden jeder Mensch für seine Ernährung beansprucht, das Abschätzen und Abschreiten dieser Fläche sind weitere erkenntnisreiche Elemente in der Bodenpädagogik.
Begegnungen mit dem Boden können daran erinnern, dass wir alle gemeinsam die Verantwortung dafür tragen, dass die Fruchtbarkeit unserer Böden erhalten bleibt. Diese Verantwortung können wir wahrnehmen, indem wir die Bäuerinnen und Bauern unterstützen, die für uns alle die Arbeit an den Böden leisten.

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