Mittlerweile gibt es auf Anregung von Demeter International Varianten der Regionalwert Leistungsrechnung für Spanien, Ägypten und Länder Lateinamerikas. Bis im Sommer 2023 sollen auch die Schweizer und die französische Variante einsatzbereit sein.
Die Frage ist nun, wie können diese nachgewiesenen Leistungen nach aussen kommuniziert und auch ins Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten gebracht werden. Der Ruf nach einer zertifizierten Marke wird laut. Aber ist eine Marke auf Produkten und ein Zertifikat für Betriebe die zeitgemässe Lösung oder gibt es geeignetere Optionen die notwendige Transformation und Transparenz im Hinblick auf Nachhaltigkeitsleistungen in Gang zu bringen?

Christian Hiß ist Gründer der Regionalwert AG Freiburg und Gründer und Vorstandsmitglied der Regionalwert Leistungen GmbH, Referent und Sachbuchautor.
Er wurde für seine innovativen Denkansätze mit wichtigen Preisen ausgezeichnet. Die Partnerbetriebe des Bodenfruchtbarkeitsfonds zählen zu den ersten, die ihre Leistungen in den Feldern Ökologie, Soziales und Regionalökonomie mit der von der Regionalwert AG Freiburg entwickelten Methode ermitteln, um sie dadurch in die Sichtbarkeit und ins Bewusstsein zu bringen.

Methode trifft auf Akzeptanz

Der grosse Erfolg der Regionalwert Leistungsrechnung geht auf die hohe Akzeptanz bei den Landwirtinnen und Landwirten zurück. Das kommt nicht von ungefähr, denn sie ist aus der landwirtschaftlichen Praxis heraus entstanden.
Aus der Überzeugung, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb jeden Tag Mehrwerte für die langfristige Produktivität und das Gemeinwohl schafft, habe ich als ehemaliger Demeter–Gärtner und auf Grundlage zahlreicher Gespräche eine Nachweismethodik entwickelt. Aus der Erfahrung, dass die gewöhnlichen Instrumente der Buchhaltung und betrieblichen Erfolgsrechnung wesentliche Teile der landwirtschaftlichen Arbeit nicht nur verschweigen, sondern sogar entwerten, ist die Methodik «Richtig rechnen in der Landwirtschaft» entstanden. Anhand von 300 Leistungskennzahlen erhält der Betrieb mit verhältnismässig wenig Aufwand eine differenzierte Auswertung über seinen Status Quo in Bezug auf Nachhaltigkeit und eine monetäre Auswertung seiner geschaffenen Mehrwerte für das Gemeinwohl in einem Geschäftsjahr. Die erste Reaktion der Landwirtinnen und Landwirte auf das Ergebnis ihrer Leistungsrechnung ist meistens überraschend emotional. Halten sie doch zum ersten Mal ein Dokument in der Hand, die ihre tägliche Arbeit für das Gemeinwohl und ihre langfristige Produktivität in konkreten Zahlen wertschätzt, was bisher unterbelichtet blieb.
Das Instrument wird zunehmend von Verbänden, Erzeugergemeinschaften und Unternehmen der Ernährungswirtschaft eingesetzt, um ihren Mitglieds- oder Lieferbetrieben eine Möglichkeit zu bieten, sich in dem vielfältigen und vielschichtigen Spektrum der Nachhaltigkeit zu orientieren, ihre Leistungen offenzulegen und auf der Grundlage der Ergebnisse in einen gemeinsamen Entwicklungsprozess zu gehen.

Mehrwerte einzelbetrieblich vergüten

Das Ziel ist, die berechneten Leistungen den Betrieben auch zu bezahlen, denn bisher ist es nur ein Preis für die Bereitstellung der Leistungen, der auf dem Auswertungsergebnis steht. Mit der Bezahlung wird es zum tatsächlichen betriebswirtschaftlichen Wert. Die zukünftige Vergütung für Nachhaltigkeitsleistungen aus diversen Quellen ist nicht nur für die Transformation der Landwirtschaft wichtig, sondern geradezu für die Betriebe und die Gesellschaft von existenzieller Bedeutung.
Zusammen mit der Bio-Stiftung Schweiz wollen wir durch einen speziell dafür eingerichteten Leistungsausgleichsfonds sämtliche von den am Bodenfruchtbarkeitsfonds teilnehmenden Betrieben erbrachten und monetär bewerteten Leistungen vergüten und dabei untersuchen, welche Auswirkungen das hat.

Bestehende zertifizierte Marken der ökologischen Land- und Ernährungswirtschaft, wie EU Bio, Demeter, Bioland und Naturland haben ebenfalls zum Ziel, die besonderen Leistungen ihrer jeweiligen Mitgliedsbetriebe vergütet zu bekommen. Dem Konsumenten wird durch die Marke auf dem Produkt signalisiert, dass er eine bestimmte Wirtschaftsweise erwarten kann und diese auch kontrolliert wird. Das hat über Jahrzehnte gut funktioniert und ist als System im Markt etabliert. Problematisch daran ist, dass die Richtlinien der Markengeber meistens Mindestanforderungen formulieren, hinter der der einzelne Betrieb mit seinen täglichen Bemühungen um optimal nachhaltige Betriebsführung verschwindet. Am Markt erscheint aber nicht der Einzelbetrieb, sondern die Marke. In der Direktvermarktung mag es noch möglich sein, den einzelnen Betrieb und seine individuellen Leistungen zu kommunizieren, aber in der notwendigen Differenziertheit ist dies auch selten machbar.

Aus der Sachlage ergibt sich ein Dilemma für die Verbände und Gemeinschaften. Einerseits wollen alle berechtigterweise erreichen, dass mehr Betriebe auf die ökologische Wirtschaftsweise umstellen und zur Markengemeinschaft dazu stossen, andererseits verhindern hohe Standards den Einstieg in die Umstellung. Werden dann die Standards niedrig gehalten, werden Betriebe, die dem Idealbild eines nachhaltigen Betriebes durch jahrzehntelange Praxis schon näher sind, nicht adäquat berücksichtigt und wertgeschätzt. Die öffentliche Bewerbung der Marken zielt aber meistens auf den optimal geführten Betrieb und signalisiert nach aussen, dass alle Markennutzer diesem Bild bereits entsprechen. Dies entspricht aber nicht der Wirklichkeit und steht einem Entwicklungsprozess im Wege. Durch diese Tatsache besteht eine Ungerechtigkeit in der Produktpreisgestaltung.

Zeitgemässe Vorgehensweise

Aus den Ausführungen sollte klar geworden sein, dass ein neues Zertifikat mit Mindestanforderungen und einer Marke als Kommunikationsmittel nicht richtig geeignet ist. Der Anspruch an die Kommunikation ist vielmehr, dass der einzelne Betrieb mit seinem individuellen Status Quo der Betriebsführung transparent und in seinem Bemühen um optimale Betriebsführung anerkannt und unterstützt wird. Wie könnte dies gelingen?
Betriebe, die die Regionalwert Leistungsrechnung schon durchgeführt haben, gehen mit dem anschaulich gestalteten Ergebnisdokument bereits nach aussen und binden es in die Kommunikation mit Konsumenten, Verarbeitern, Händlern und Banken ein.
Verarbeitungsunternehmen aus der ökologischen Ernährungswirtschaft beabsichtigen, ihren Lieferanten einzelbetriebliche Prämien auf die Erzeugerpreise aufzuschlagen, um hier der betrieblichen Realität gerechter zu werden.
Eine favorisierte Strategie der Akteure um die Regionalwert Leistungen GmbH ist, die Bezahlung der Leistungen aus anderen Quellen als dem Verkaufserlös für die Produkte zu bezahlen. Möglich sind hier privat organisierte Transformationsfonds wie der Leistungsausgleichsfonds der Bio-Stiftung Schweiz oder öffentliche Gelder. Würde dies gelingen, wäre viel erreicht. Die einzelbetrieblich tatsächlich für das Gemeinwohl geleisteten Mehrwerte jedes Geschäftsjahres würden honoriert werden, im übrigen auch nicht nur für ökologisch arbeitende Landwirte. Die realitätsnahe Leistungsvergütung sollte für alle Betriebe gelten.

Teilen Sie diesen Beitrag mit Ihrem Netzwerk!