von Marcus Klöckner | NachDenkSeiten

Herr Forster, das Folgende ist in einem Medienartikel zu lesen: „Erbrechen, Schwindel, Ohnmacht: In Indien müssen Hunderte Menschen im Krankenhaus behandelt werden. Die Ursache ist noch unklar, Experten haben aber eine Vermutung.“ Weiter heißt es in dem Beitrag: „Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, untersuchen die indischen Behörden nun sogenannte Chlorkohlenwasserstoff-Pestizide. Die britische BBC berichtet zudem, dass im Blut der Erkrankten hohe Konzentrationen an Blei und Nickel gefunden worden seien.“
Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie solche Nachrichten hören?

Mein erster Gedanke ist: Schon wieder! Aber auch: Wie lange werden wir diese Verhältnisse als Menschheit noch akzeptieren? Danach interessiert mich, was die weiteren Untersuchungen zu dem Fall ergeben werden. Ich selber bin weder Toxikologe noch Arzt. Aber durch die vor kurzem erfolgte Herausgabe unseres Buches zum Thema der synthetischen Pestizide bin ich für das Thema sensibilisiert und habe von den über dreißig Experten/Innen, die sich in dem Buch äußern, viel gelernt. Unter anderem habe ich gelernt, dass bei der Zulassung von Pestiziden der Glaube eine große Rolle spielt, der Glaube an die Ungefährlichkeit dieser Stoffe und das Ausblenden von Risiken, die niemand einschätzen kann. Es gibt viele Beispiele für synthetische Pestizide, deren Schädlichkeit erst lange nach der Zulassung nachgewiesen wurde, zum Teil Jahrzehnte danach.

Das heißt, diese Stoffe richten dann über lange Zeit einen enormen Schaden an, bevor sie wieder verboten werden?

So ist es. Sie werden also offenbar zugelassen, bevor man ihre Wirkungen genau genug kennt. Wenn die Chlorkohlenwasserstoff-Pestizide von Toxikologen schließlich in diese Kette eingereiht werden sollten, dann wäre das gewissermaßen nur die Fortsetzung der Geschichte der synthetischen Pestizide, die zum Beispiel der Pestizidexperte Lars Neumeister in unserem Buch als eine Geschichte des staatlichen Versagens und auch einer unermesslichen Naivität beschreibt.

Dass synthetische Pestizide für die Gesundheit ein Problem sind, ist bekannt. Dennoch kommen sie nach wie vor in großen Mengen zum Einsatz. Kann man sagen, dass es einen regelrechten Kreislauf gibt, der den Einsatz von Pestiziden bedingt?

Am Beispiel Raps kann man sich einen solchen Kreislauf verdeutlichen: Im ersten Schritt wird ein riesiges Rapsfeld in Monokultur angelegt. Nach einiger Zeit treten dann verstärkt Rapsglanzkäfer auf, die sich massenhaft vermehren. Dies braucht niemanden zu wundern, da ihnen ja ein üppiges Buffet vorgelegt wurde. Auf die entstehende und im Grunde von der industriellen Landwirtschaft selbst verursachte Pest wird dann mit dem dafür geeigneten Gift reagiert. Die Population geht zunächst zurück, aber die überlebenden Rapsglanzkäfer bauen dann Resistenzen auf und vermehren sich fröhlich. Bald braucht man dann höhere Dosierungen und schließlich stärkeres Gift. Bei der Vergiftungsorgie werden natürlich auch nützliche Insekten vergiftet, auch natürliche Gegenspieler der Schädlinge. Das ist ein Teufelskreis, mit dem allerdings weltweit sehr viel Geld verdient wird.

Das Problem entsteht also hauptsächlich dadurch, dass man mit den Monokulturen versucht, der Natur etwas aufzuzwingen, was ihr nicht entspricht.

Und darauf reagiert sie mit vermehrt auftretenden Schädlingen, denn sie versucht, sich selbst wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Ja, was der Natur entspricht, ist eine bunte Vielfalt von unterschiedlichen Pflanzen und Tieren, die in einem harmonischen Gleichgewicht neben- und miteinander existieren. Wer das verstanden hat, der sucht und findet ganz konkrete Wege, wieder mit der Natur zu arbeiten, statt gegen sie. Vielfalt bei den Kulturen ist im Biolandbau der wirksamste Schutz gegen zu starken Schädlingsbefall. Das wird uns von Biobauern immer wieder bestätigt. Diese Einsicht führt dann zum Aufbau von Mischkulturen, vielfältigen Fruchtfolgen oder Agroforstsystemen.

Würden Sie uns bitte erklären, was der Einsatz von Pestiziden für uns Menschen, aber auch für die Natur, für das Ökosystem bedeutet?

Synthetische Pestizide wirken nicht nur auf die sogenannten Zielorganismen, sondern es werden immer auch andere „nützliche“ Lebewesen mit getötet oder geschädigt, oftmals auch natürliche Gegenspieler von Schädlingen.

Dadurch entstehen Ungleichgewichte in der Natur?

Ja, und manchmal brechen ganze Nahrungsketten zusammen und die Artenvielfalt geht zurück. Darüber hinaus gelangen die Rückstände zum Beispiel durch Luftverfrachtung in die Luft und werden von uns eingeatmet. Und zwar in einem viel höheren Maß, als bis vor kurzem noch angenommen wurde. Was das für Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat, ist bisher wenig untersucht. Die Stoffe vermischen sich auch, entweder im Boden, im Wasser oder im menschlichen Organismus. Das sind die sogenannten Cocktaileffekte, die ebenfalls bisher wenig untersucht wurden. Es gibt aber inzwischen Studien, die nachweisen, dass von bestimmten Wirkstoffen eine viel größere Gefahr ausgeht, wenn sie mit anderen Stoffen zusammentreffen, als wenn sie allein wirksam werden. Es gibt große Wissenslücken, die dringend geschlossen werden müssten, um die Gefahren von synthetischen Pestiziden realistisch einschätzen zu können. Andre Leu, Autor des Buches „Die Pestizidlüge“, beschreibt in seinem Beitrag in unserem Buch, dass die gegenwärtig angewendeten Kontrollverfahren für die Zulassung von synthetischen Pestiziden nicht geeignet sind, um deren Ungefährlichkeit wirklich nachzuweisen, und belegt dies auch.

Ebenso gibt es Studien, die zeigen, dass die Pestizidexposition bei ungeborenen und heranwachsenden Kindern mit verschiedenen Krankheiten verbunden ist. Das reicht von Störungsbildern des autistischen Spektrums über Krebserkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zu Fruchtbarkeits- und Reproduktionsproblemen im Erwachsenenalter. Man berücksichtigt hier leider nicht, dass ungeborene und heranwachsende Kinder sich in kritischen Phasen ihrer Entwicklung befinden und ihr Organismus viel sensibler auf Umwelteinflüsse reagiert, als das bei Erwachsenen der Fall ist.

In den vergangenen Jahren gab es Meldungen aus Frankreich, wonach Babys mit schweren Fehlbildungen geboren wurden. In der Berichterstattung wurde auch auf Pestizide eingegangen.

Ja, weltweit sind verschiedene Phänomene im Zusammenhang mit unseren Kindern zu beobachten. Die aktuellen Testprotokolle für die Zulassung von Pestiziden können uns nur sagen, ob ein Pestizid eine Krankheit verursacht, wenn eine sehr hohe Schwelle der Wahrscheinlichkeit überschritten ist. Sie können uns aber nicht sagen, ob ein Pestizid sicher ist. Es ist nicht dasselbe, wenn in einer Studie kein Beweis gefunden wird, dass ein Pestizid Krebs, Autismus oder eben andere Krankheiten, auch solche wie in Ihrer Frage angedeutet, verursacht, oder man mit Sicherheit ausschließen kann, dass die betreffende Chemikalie solche Krankheiten verursacht. Gemeinhin werden die toxikologischen Studien dennoch verwendet, um die tausenden auf der Welt verwendeten Pestizidprodukte vom Verdacht freizusprechen, Krebs und andere Krankheiten zu verursachen. Dafür gibt es indes keinerlei Beweise. Und wenn ein Pestizid dann doch krank macht, wofür viele Untersuchungen sprechen, dann hat das immer gleich epidemiologische Ausmaße, dann sind meist Tausende und Hunderttausende Menschen betroffen!

Soviel zu den Gefahren für die menschliche Gesundheit.

Darüber, was das für die Regenwürmer und andere Bodenlebewesen, die wesentlich für die dauerhafte Bodenfruchtbarkeit sind, oder für die Wasserlebewesen bedeutet, bin ich jetzt noch gar nicht eingegangen. Die Probleme sind also äußerst vielfältig. Synthetische Gifte richten vielleicht in geschlossenen Kreisläufen einer industriellen Produktion weniger Schaden an, aber in die lebendigen Naturkreisläufe gehören sie auf Grund des heutigen Wissensstandes nicht mehr hin und sollten lieber gestern als heute entfernt werden. Oder wie Felix Prinz Löwenstein es ausdrückt: Wir werden uns in Zukunft biologisch ernähren oder gar nicht mehr.

Die Agrarpolitik der EU lässt einiges zu wünschen übrig. Was machen die Verantwortlichen noch falsch?

Die Politik sollte sehr schnell dazu übergehen, so genannte Ökosystemleistungen zu subventionieren und nur diese. Das Verschenken von Steuermilliarden an Landbesitzer, also die Anwendung des Prinzips „Wer hat, dem wird gegeben“, ist ein Skandal und müsste so schnell wie möglich beendet werden. Denn Land zu besitzen, ist ja keine Leistung, warum sollte das also belohnt werden?

Worauf kommt es dann an?

Darauf, was ein Landbesitzer mit dem Land macht und wie er Landwirtschaft betreibt oder betreiben lässt.

Was ist noch ein wichtiger Punkt?

Dass sich die Politik ein klares Bild darüber macht, welche Landwirtschaft eigentlich volkswirtschaftlich gesehen wieviel kostet. Denn es wird immer deutlicher, dass die Verwendung von synthetischen Pestiziden enorme ökologische und gesundheitliche Schäden hervorruft und damit volkswirtschaftlich gesehen hohe Kosten verursacht, die gegenwärtig in die Produkte nicht eingepreist werden.

Täte man dies, so wüsste man schnell, dass die Billigwurst vom Discounter nur billiger als Biowurst zu sein scheint, es aber in Wahrheit nicht ist. Hier werden die Verbraucher verschaukelt und das hat System. Kostenwahrheit und die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips wären hier nachhaltige Lösungsansätze. Das heißt: Wer in der Natur einen ökologischen oder bei Menschen einen gesundheitlichen Schaden anrichtet, muss dafür auch bezahlen, so wie es das Gesetz in vielen Ländern auch vorschreibt (Verursacher-Prinzip).

Die Billigwurst wäre dann nicht mehr billig. Davon sind wir aber momentan noch meilenweit entfernt. Es ist dasselbe Prinzip wie bei der Atomenergie. Diese kann auch nur als die billigste Energie verkauft werden, weil die damit verbundenen Risiken bei Unfällen oder auch die Lagerkosten über Jahrtausende für deren radioaktive Abfälle von unseren Steuergeldern bezahlt werden und nicht von den Betreibern und Erzeugern, somit also auch nicht Teil des Produktpreises sind.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausbildung der Bäuerinnen und Bauern. Oft werden die jungen Menschen schon im Elternhaus ideologisch stark geprägt, das heißt, ihr geistiger Horizont ist auf die Methoden der industriellen Landwirtschaft beschränkt und bleibt es oft auch. Auch in der Berufsschule geht es dann so weiter, bis dahin, dass sogar einzelne Pestizidprodukte notenrelevant abgefragt werden.

Die Anwendung von Pestiziden wird sozusagen in das Denken eingeschliffen?

Genau. Die jungen Leute werden zu Pestizidanwendern ausgebildet und kennen auch am Ende ihrer Ausbildung nichts anderes. Sie glauben dann, dass Schädlingsprobleme nur mit synthetischen Pestiziden in den Griff zu bekommen sind. Von agrarökologischen Zusammenhängen und den Methoden, die im Biolandbau seit 100 Jahren und von Millionen Bauern weltweit erfolgreich angewendet werden, haben sie oftmals keine Ahnung. Das ist absurd, angesichts der gewaltigen Schäden, die niemand mehr kleinreden kann, es sei denn, er/sie will dies aus finanziellen Interessen nicht, weil er oder sie in diesem alten System ganz gut verdient oder zu bequem ist oder zu viel Angst hat, etwas zu verändern. Wobei die Angst ja noch am verständlichsten ist.

Die während der Umstellung entstehenden Risiken sollten hingegen stärker gesamtgesellschaftlich getragen werden, das würde wenigstens Sinn machen. Die Zukunft müsste dahin gehen, dass eine gediegene landwirtschaftliche Ausbildung auch Praktika in Biobetrieben vorschreibt und die Auszubildenden in der Berufsschule auch Unterricht bekommen von Fachleuten, die im Biolandbau theoretische und vor allem auch praktische Erfahrungen haben. Durch die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem Biolandbau würden sich viele Vorurteile in den Köpfen der angehenden Bauern auflösen lassen. Und das gute Gewissen, bei dem, was sie tun, könnte sich auch wieder zeigen und das ist ein Zugewinn an Lebensqualität.

Warum setzen Landwirte also Pestizide ein?

Zuerst mal, weil sie es dürfen. Und oftmals, weil sie auch nichts anderes kennen oder kennenlernen wollen. Und weil sie in einem ganzen Geflecht aus Abhängigkeiten drinnen stecken, aus dem sie keinen Ausweg für sich sehen. Das eigene Denken und Handeln muss in einem innerlichen Prozess umgeschmolzen werden. Die Bio-Bauern und -Bäuerinnen, die man bisher vielleicht immer verachtet und ausgelacht hat, werden plötzlich zu Trägern eines unumgänglichen Wissens, das man braucht. Doch wie geht man nun auf Menschen zu, die man bisher belächelt hat? Keine einfache Sache…

Viele weitere Elemente wären da zu sagen. Gleichzeitig ist es erfreulicherweise trotzdem so, dass viele Bauern auf Bio umstellen. In der Schweiz ist die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe seit 2010 insgesamt um über achttausend Betriebe zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum hat Bio aber um 1.300 Betriebe zugelegt. Das sind ja Zahlen, die für sich sprechen und die auf ein Umdenken bei vielen Bauern hindeuten. Ich gehe davon aus, dass dies in Deutschland auch nicht viel anders sein wird.

Wie sieht eine nachhaltige Landwirtschaft aus?

Zunächst einmal möchte ich betonen, was nachhaltige Landwirtschaft kann. Sie kann nämlich insgesamt betrachtet etwas, was die industrielle Landwirtschaft nicht kann. Sie kann dauerhaft gesunde und aromatische Lebensmittel bei stabilen Ernteerträgen liefern und erbringt gleichzeitig eine ganze Reihe wichtiger Ökosystemleistungen, die positive Auswirkungen haben auf das Bodenleben, die Artenvielfalt, den Wasserhaushalt, das Klima und die Gesundheit. Dabei kann sie auf externe Inputs wie synthetische Pestizide und künstlichen Stickstoffdünger vollständig verzichten. Sie kann dabei auch auf genmanipuliertes Saatgut und Hybridsaatgut verzichten.

Wie macht sie das?

Wenn man Antworten auf diese Frage haben will, muss man die Bio-Bäuer/innen, Bio-Gärtner/innen und auch Bio-Winzer/innen fragen und sich anschauen, wie sie arbeiten. Für unser Buch haben wir das getan. Die Antworten gehen in verschiedene Richtungen. Für viele Praktiker ist schon die Grundhaltung gegenüber den Pflanzen, Tieren, Menschen und letztlich dem ganzen Ökosystem Erde von wesentlicher Bedeutung. Sie begegnen dem Leben und der Natur mit Respekt und letztlich auch mit Dankbarkeit. Sie erleben, dass sie selber auch Teil dieses lebendigen Systems sind und behandeln die Erde nicht wie ein Ding, sondern wie etwas Lebendiges, das seine eigenen Lebensbedingungen hat.

Das erweckt in ihnen das Interesse für agrarökologische Zusammenhänge. Sie fangen an, sich für die Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebewesen zu interessieren und zu begeistern, sie beginnen, genauer zu beobachten, wie die Lebewesen interagieren, sie lassen sich beraten und lernen Methoden kennen, die dabei helfen können, Schädlingsprobleme zu reduzieren, zum Beispiel dadurch, dass man Nützlinge fördert und ihnen einen geeigneten Lebensraum zur Verfügung stellt. Man bekommt zum Beispiel auch Respekt vor den Regenwürmern, weil man begreift, wie wichtig diese Tierchen beim Aufbau der Bodenfruchtbarkeit, überhaupt bei der Aufrechterhaltung wichtiger Bodenfunktionen wie zum Beispiel der Wasserhaltekapazität sind. Man begreift außerdem, dass Regenwürmer dabei helfen, Dürreperioden besser abpuffern zu können und Überschwemmungen vorzubeugen, und dass es dumm ist, diese zu vergiften. Im Gegenteil, man fängt dann an, sie in optimaler Weise zu füttern, wie Sepp Braun, ein Bauer aus Freising in Bayern das zum Beispiel tut, und kann dann eine Regenwurmdichte von 300 Stück pro Quadratmeter erreichen, was sehr viel ist.

Praktiker dieser Art gehen aber noch weiter. Sie stellen dann zum Beispiel fest, weil sie Interesse an der Qualität ihrer Produkte haben, dass bei artgerechter Ernährung der Kühe der Omega-3-Fettsäuregehalt ihrer Milch um den Faktor sechs höher sein kann als bei industriell erzeugter Milch, und erfahren dann, dass Milch von dieser Qualität einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch von Asthma leisten kann, weil die Entstehung dieser Krankheiten oft mit einem Mangel an Omega-3-Fettsäuren zusammenhängt. Das schrittweise Verstehen der Zusammenhänge zwischen nachhaltiger Landwirtschaft und Gesundheit zum Beispiel begeistert Biobauern und bestärkt sie in der Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn dieser Weg oftmals sehr herausfordernd und nicht selten auch steinig ist. Sie erkennen: Gesunde und fruchtbare Böden = gesunde Pflanzen und Gewässer = gesunde Tiere = gesunde Menschen! Um die Erkenntnis dieses Prinzips kommen wir nicht herum und auch nicht um einen systemischen Blick auf Gesundheit.

Was müssten Landwirte noch tun?

Nachhaltig wirtschaftende Bauern tun schon sehr viel. Aus dem, was ich in den letzten Jahren gesehen und erfahren habe, stellt sich mir eher die Frage, was die Gesellschaft noch tun, welche Voraussetzungen sie schaffen müsste, damit Landwirte nachhaltig wirtschaften können, und auch, welche Anreize sie schaffen müsste, damit sie das dann auch tatsächlich tun.

In Ihrem Buch sprechen Sie von einem „Systemwechsel“, der unternommen werden muss. Wie kann dieser Systemwechsel aussehen? Was sind die ersten Schritte?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Hier ein paar Aspekte dazu: In der Schweiz haben wir ja das Instrument der direkten Demokratie. Das ist eine gute Sache. Denn das heißt, dass wir Bürgerinnen und Bürger als Souverän nicht nur unsere Regierung wählen, sondern dass wir über wichtige Fragen selbst entscheiden können und uns auch als oberster Souverän empfinden, denen die Politiker und Behörden zu dienen haben. In diesem Jahr werden wir darüber abstimmen, ob die Verwendung von synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft weiterhin erlaubt sein soll oder nicht.

Dass diese Abstimmungen stattfinden werden, ist zwei Initiativen zu verdanken, die jeweils über 100.000 beglaubigte Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt haben.

Wenn das Ergebnis so ausfällt, dass diese Stoffe verboten werden, was ich hoffe, und wo wir als Bio-Stiftung uns auch im Rahmen unserer Möglichkeiten am Bewusstseinsbildungsprozess beteiligen, dann werden die Betriebe acht bzw. zehn Jahre Zeit haben, ihre Anbauweise auf pestizidfrei umzustellen. Das wäre ein wichtiger erster Schritt für die Schweiz und zugleich ein Paukenschlag für die weltweite Antipestizidbewegung.

Mit anderen Worten: Der Systemwechsel wäre dann das Ergebnis eines demokratischen Prozesses?

Die Zeit für einen solchen Volksentscheid ist günstig, weil bereits über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt werden konnten, wie so etwas gelingen kann. Auch der Blick auf Länder wie Indien, wo derzeit Millionen Bauern auf Bio umgeschult werden und wo bereits vor längerer Zeit der Bundesstaat Sikkim zu 100 Prozent auf Bio umgestellt wurde, kann dabei helfen zu begreifen, dass 100 Prozent Bio gut möglich ist, auch wenn die Profiteure der pestizid-basierten Landwirtschaft das natürlich ganz anders sehen wollen und gerade alle möglichen Katastrophenszenarien an die Wand malen, um den Leuten Angst zu machen.

Dass sie das machen, ist aus ihrer Sicht verständlich, denn den Agrarkonzernen geht es um die Milliardenumsätze, die sie mit dem Verkauf von synthetischen Pestiziden machen. Sie sehen ihre Felle natürlich nicht gern davonschwimmen. Aber ich hoffe, dass sich die Schweizer Bürgerinnen und Bürger von dieser Angstmacherei nicht groß beeindrucken lassen und der gesunde Menschenverstand sich durchsetzen wird. Wir haben unser Buch zum Themenkomplex der synthetischen Pestizide auch herausgebracht, um diesen Bewusstseinsprozess mit zu unterstützen.

Was Sie aufgezählt haben, sind politische Möglichkeiten. Wie sieht es denn im Hinblick auf das Handeln der Verbraucher aus?

Jeder Verbraucher hat die Möglichkeit, diesen „Systemwechsel“ zu unterstützen und mit zu ermöglichen. Und zwar durch den Griff nach Bioprodukten im Verkaufsregal. Das ist vielleicht der wirksamste Hebel. Denn wie Urs Brändli, der Präsident von Bio Suisse, ganz richtig sagt: Was aus dem Verkaufsregal genommen wird, wird von hinten nachgefüllt. Und wenn mehr Bioprodukte gekauft werden, dann werden auch mehr produziert. So einfach ist das im Grunde.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber, dass die Gesellschaft es irgendwie schafft, den unfairen Wettbewerb der verschiedenen Landbausysteme zu beenden, der dadurch entsteht, dass nicht alle Kosten und alle Leistungen in die Produkte eingepreist werden und Bioprodukte dadurch im Verkaufsregal noch etwas teurer sind als Produkte aus der industriellen Landwirtschaft. Das ist auch insofern fatal ungerecht, weil Menschen mit geringem Einkommen sich in vielen Ländern Bioprodukte gegenwärtig nicht leisten können und quasi gezwungen werden, die Produkte aus dem konventionellen Anbau zu konsumieren. Durch diese Praxis wird sozusagen mit unseren Steuergeldern ein System am Leben gehalten, das unsere Lebensgrundlage zerstört und die nachhaltigen Produkte teurer erscheinen lässt, was aber, wie dargestellt, in Wirklichkeit nicht so ist.

Hinzu kommt, dass wir es uns heute leisten, dass 30 bis 40 Prozent der Lebensmittel als „Food waste“ enden. Das heißt im Umkehrschluss: Wir könnten uns auch 40 Prozent teurere Lebensmittel leisten, wenn wir ihnen mehr Wertschätzung entgegenbringen würden, ohne dass wir insgesamt mehr Geld ausgeben würden.

Was Sie aufzählen, ist ein Ausschnitt, wenn es um einen Systemwechsel geht.

Natürlich müsste auch mehr in ökologische Forschung investiert werden, aber auch was unseren Umgang mit Tieren angeht, müssten wir mehr lernen. Und dann auch den Fleischkonsum etwas reduzieren, das würde viel helfen.

Mittlerweile ist bekannt, dass die verstärkt auftretenden Virenprobleme damit zusammenhängen, dass wir Tiere in Angst und Stress versetzen. In einer einzigen Fleischfabrik in der südchinesischen Region Guandong konnten allein 46 Subtypen der weltweit zirkulierenden, insgesamt 108 verschiedenen HxNx-Influenzaviren nachgewiesen werden.

Spielt das Thema Pflanzenzucht auch eine Rolle bei einem Systemwechsel?

Absolut. Die Pflanzenzucht müsste anders ablaufen. Sie liegt weltweit inzwischen nahezu vollständig in den Händen von wenigen Konzernen. Und diese Konzerne züchten gern Hochleistungssorten, die nur in Kombination mit einem hohen Einsatz von synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln überleben, welche diese Konzerne dann zufällig auch mit im Programm haben. Das hat mit freier Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun, mit sozialer Marktwirtschaft auch nicht.

Das sind längst oligarchische Verhältnisse, die gesunden Wettbewerb erschweren bzw. nahezu verunmöglichen. Wie die Politik die Entwicklung zu solchen Verhältnissen hin zulassen konnte, ist mir schleierhaft und vielleicht nur vor dem Hintergrund des starken Lobbyismus der Agrochemieindustrie und deren Milliardeninvestments zu verstehen. Ein Systemwechsel auf diesem Gebiet würde für mich bedeuten, dass die Regionen sich ihre Ernährungssouveränität zurückerobern, mit regional angepassten, samenfesten Sorten, die in der Region gezüchtet und möglichst auch vermehrt und verkauft werden.

Wie sieht es mit dem ewigen Wirtschaftswachstum aus?

Dieses Dogma, das eine große intellektuelle Fehlleistung darstellt, ist eines der größten Probleme.

Warum?

Die Böden und Gewässer, in und auf denen die Rohstoffe wachsen, können eben nicht ständig höhere Erträge bringen, was die Voraussetzung eines ewigen Wachstums wäre, sondern sie werden dadurch zerstört und somit auch die Grundlage der Ökonomie. Das heißt, man kann sagen, dass ein ökonomisches Denken auch ein ökologisches Denken sein muss, denn sonst ist es eben nicht ökonomisch, da es die Grundlagen der Ökonomie und des Lebens zerstört.

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